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Erzwingt den Frieden! 

Wer den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern lösen will, muss das Labyrinth aus Hass, Angst und Rachsucht zerschlagen. Und vor allem den Terror. Warum die "Roadmap" zum Scheitern verurteilt ist 

Von Leon de Winter 

Am 17. März 1954 überfielen Terroristen einen israelischen Reisebus auf dem Weg von Tel Aviv in die südlichste Hafenstadt, Eilat am Golf von Akaba. Bei der Ortschaft Maale Akrabim töteten sie den Fahrer, drangen in den Bus ein und feuerten auf jeden einzelnen Fahrgast: Elf Menschen starben. Überlebende erzählten später, dass die Terroristen ihre Opfer bespuckt und die Leichen misshandelt hätten. Die Mörder entkamen über die Grenze nach Jordanien. 

Das geschah 13 Jahre vor jenen fatalen Tagen im Jahr 1967, als Israel im Sechstagekrieg den Gaza-Streifen und das Westjordanland okkupierte. In den so genannten besetzten oder strittigen Gebieten wurden also, auch als sie noch nicht in israelischer Hand waren, Busse, Häuser, Geschäfte und Schulen von bewaffneten Palästinensern überfallen. Zwischen 1951 und 1955 kamen dabei 503 Israelis ums Leben. Damals stellten Gaza-Streifen und Westjordanland keine unabhängige palästinensische Einheit dar, sondern waren von Ägypten und Jordanien besetzte Gebiete ohne Kanalisation, ohne Universitäten, ohne freie Presse und ohne bürgerliche Rechte und Freiheiten. Dennoch widersetzten sich die Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager nicht oder kaum gegen ihre ägyptischen und jordanischen Besatzer: Ihr Feind war Israel. Der palästinensische Terrorismus hatte bereits, bevor Israel im Sechstagekrieg den Gaza-Streifen und das Westjordanland eroberte, Gestalt angenommen. 

Die Geschichte palästinensischer Gewalt gegen Juden reicht sogar in die Zeit vor der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 zurück. 1920 und 1921 fanden im damaligen britischen Mandatsgebiet antijüdische Krawalle statt, 1929 richteten Araber ein Massaker unter der jüdischen Gemeinde von Hebron an, und während des Aufstands gegen die britische Kolonialregierung 1936–1939 überfielen Araber an zahllosen Orten jüdische Bürger und jüdische Einrichtungen. 

Schon bald kam es zur bekannten Spirale: Gewalt schürte Gewalt, und jüdische Gruppierungen ließen sich zu Vergeltungsaktionen hinreißen. Berüchtigt ist die Rache, die Israel im Oktober 1953 für den Tod einer jüdischen Mutter und ihrer beiden Kinder nahm, die im Schlaf von aus dem Westjordanland eingeschleusten Terroristen ermordet worden waren. Am Tag darauf jagten israelische Kommandos unter Führung des 25-jährigen Ariel Scharon im Dorf Kibya, das als Versammlungsort von Terroristen galt, Häuser mitsamt ihren Bewohnern in die Luft. 69 Menschen kamen dabei ums Leben. Scharon schrieb später in seinen Memoiren: „Jüdisches Blut konnte nicht länger ungestraft vergossen werden. Von da an hatte es seinen Preis.“ 

Kern des gesamten Konflikts ist unleugbar die in einem Staatsgefüge organisierte Existenz der Juden im Nahen Osten. Die Besetzung von Gaza-Streifen und Westjordanland hat die Probleme zwar verschärft, deren Charakter aber nicht wesentlich verändert. Es hat viele Ansätze zu einem Friedensprozess gegeben, doch an der widerspenstigen Wirklichkeit des alten Konflikts ist noch jede Initiative gescheitert. Es gibt nur zwei Lösungen, beide sind mehr als naheliegend, in der Implementierung jedoch äußerst vertrackt. 

Die erste Lösung ist der Auszug der Juden aus Israel und damit die Aufhebung ihres Staates. Die Aufhebung Israels würde in der arabischen Welt auf begeisterte Zustimmung stoßen. Die Israelis dürften an dieser Lösung wohl kaum bereitwillig mitarbeiten. Die Juden glauben, Recht auf ein Land zu haben, so, wie die Araber Recht auf ihre Länder haben, von denen es 22 gibt. Die meisten von ihnen haben ihre islamische Identität in der Verfassung verankert. Und um jenem sehnlichsten Wunsch der Araber entgegenzuwirken, unterhalten die Israelis die stärkste Armee des Nahen Ostens. In der Konfrontation mit einer Revolte von Zivilisten scheint diese überlegene Technologie freilich machtlos zu sein. 

Eine Revolte von Zivilisten lässt sich, im Gegensatz zum Angriff einer feindlichen Armee, von einer offenen Demokratie nicht mit roher Gewalt bekämpfen. Die moralische Verfassung in den demokratischen Institutionen, in der öffentlichen Meinung und freien Presse steht dem massiven Einsatz militärischer Gewalt gegen Zivilisten im Weg. Bei den Aktionen des israelischen Militärs gibt es regelmäßig Tote, und die Grausamkeit der durch die Medien verbreiteten Bilder ruft im ruhigen Westeuropa oft große Ablehnung hervor; Ha’aretz, eine von Israels Qualitätszeitungen, lässt jüdische Kommentatoren zu Wort kommen, die sich immer wieder entschieden gegen Israels Vergeltungspolitik aussprechen. Es handelt sich hier vielfach um grausame Zwischenfälle, aber sie sind nichts im Verhältnis zu der gigantischen Zerstörungskraft, die die israelische Armee entwickeln könnte. Wenn die israelische Bevölkerung bereit wäre, massenhafte Opfer unter palästinensischen Zivilisten zu akzeptieren, wäre der Terrorismus rasch bezwungen. Doch die Mehrheit der Israelis ist dazu nicht bereit. 

In krassem Kontrast zu Israels militärischer Stärke steht die relative Ohnmacht der Palästinenser (und der Araber im Allgemeinen), die die Israelis lieber heute als morgen vertreiben möchten, aber nicht dazu in der Lage sind. Ob die Mehrheit des palästinensischen Volkes (und der Araber im Allgemeinen) eine den Israelis vergleichbare relative Zurückhaltung aufbringen würde, wenn sie über Israels Stärke verfügte und die Israelis nur die begrenzten Mittel der Palästinenser besäßen, ist fraglich. 

Vierzehnhundert Jahre Islam haben den Muslimen in Fleisch und Blut übergehen lassen, dass Allah die Juden straft, die in der islamischen Tradition als die „Nachkommen von Affen und Schweinen“ bezeichnet werden (für jeden Muslim ist das eine alltägliche Beschreibung von Juden). In einer Ausstrahlung der wöchentlichen Talkshow von al-Dschasira wurde im vergangenen Jahr allen Ernstes die folgende These erörtert: „Die Söhne Zions, die unser Gott als die Söhne von Affen und Schweinen bezeichnet, werden sich nur abschrecken lassen, wenn ein wirklicher Holocaust stattfindet, der sie alle auf einen Schlag vernichtet, zusammen mit den Verrätern – jenen, die mit ihnen kollaborieren, dem Abschaum der islamischen Nation.“ 

In der frühen islamischen Welt war die Stellung der Juden als „Volk des Buches“ zwar gesichert, doch sie wurden als minderwertig angesehen. Man kreidete ihnen an, dass sie sich hartnäckig der Botschaft Mohammeds verschlossen, und betrachtete sie als feige, gerissen und hinterhältig. Sie hatten Sondersteuern zu zahlen, sich durch ihre Kleidung als Juden auszuweisen (gelber Fleck) und das Tragen von Waffen (das in der stammesgeprägten arabisch-islamischen Welt viele Jahrhunderte lang unverzichtbares Zeichen der Stärke und des Stolzes war) sowie das Reiten auf Pferden zu unterlassen. Pogrome wie im christlichen Europa kamen zwar in der arabischen Welt in deutlich geringerem Umfang und weitaus milderer Form vor, doch von einem gleichberechtigten jüdisch-islamischen Verhältnis war nur in seltenen Ausnahmefällen die Rede. 

In den Juden Europas reifte im Laufe des 19. Jahrhunderts der Gedanke, dass auch sie Recht auf einen eigenen Staat hätten. Sie wollten sich dem europäischen Antisemitismus entziehen und im Geiste der damaligen Zeit als Volk von ihrem Recht auf nationale Selbstbestimmung Gebrauch machen. Dafür sollten die Araber in Palästina Platz machen, doch für diese war die Einwanderung europäischer Juden kulturell und religiös untragbar. Zwischen 1883 und 1903 immigrierten nicht mehr als 25000, oft leidenschaftliche Sozialisten, die ihre Ideen vom neuen Menschen in Lebensgemeinschaften in die Praxis umsetzten. Die seit Anfang des 19. Jahrhunderts von christlichen europäischen Großmächten erniedrigten Araber, darunter auch die palästinensischen Araber, begannen ihrerseits über das Recht auf Selbstbestimmung nachzudenken. Wie groß die arabische Gemeinschaft in Palästina um 1900 genau war, lässt sich schwer ermitteln, da Palästina unter den Türken kein separater Verwaltungsbezirk war. Es steht jedoch fest, dass die arabische Migration in das rückständige und kaum kultivierte Palästina zur Zeit der jüdischen Einwanderung zunahm, vermutlich infolge neuer wirtschaftlicher Aktivitäten in den und um die jüdischen Siedlungen. 

Der zweite jüdische Einwanderungsstrom von rund 40000 Menschen zwischen 1904 und 1914 wurde durch die heftige Verfolgung der Juden im zaristischen Russland ausgelöst (weitaus die meisten jüdischen Flüchtlinge suchten ihr Heil in den Vereinigten Staaten). Die jüdischen Immigranten wurden in der ersten Phase von Europa aus durch Mäzene wie Sir Moses Montefiore und Baron Edmond de Rothschild und später von progressiven jüdischen Kreisen finanziell unterstützt. Ihre Präsenz behinderte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die aufkeimenden nationalen Bestrebungen der Araber und wurde von den palästinensischen Arabern daher auch rasch als Bedrohung empfunden. Sie wurde manifest, als nach der Machtergreifung Hitlers 1933 vermehrt Juden aus Mitteleuropa flohen. Um 1936 hielten sich etwa 400000 Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina auf. Britische Zählungen belegen, dass dort im selben Jahr 860000 Araber lebten. 

Die Juden bildeten keine kulturelle und politische Einheit. Spannungen gab es vor allem unter den Idealisten („Maximalist“ Jabotinski gegen Pragmatiker Ben Gurion) sowie zwischen den Idealisten und den Religiös-Orthodoxen. Der Zweite Weltkrieg war dann Anlass, die Reihen zu schließen und die internen Differenzen zu relativieren, und er lieferte den Juden ein unerbittliches moralisches Druckmittel gegen den Westen. Nicht zu Unrecht werfen die Palästinenser Europa vor, sie hätten den Preis für den europäischen Antisemitismus zu zahlen, der die jüdischen Einwanderungsströme in Gang setzte. 

Die örtlichen Gepflogenheiten im Nahen Osten waren den Juden schon bald vertraut. Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times und Nahostexperte, hat diese Gesetze der arabisch-islamischen Region in einem seiner Bücher Hama rules genannt. In From Beirut to Jerusalem beschreibt Friedman die Zerstörung der syrischen Stadt Hama im Jahre 1982 durch den syrischen Diktator Hafis al-Assad. In Hama tobte ein Aufstand der sunnitischen Muslimbruderschaft, den Assad an der Wurzel packte: Er ließ die Stadt zerstören und dem Erdboden gleichmachen. Wie viele Menschen dabei ums Leben kamen, ist nicht bekannt; Schätzungen bewegen sich zwischen zehn- und dreißigtausend. 

In seinem Buch schildert Friedman das Gespräch zwischen einem libanesischen Geschäftsmann und Rifaat al-Assad, dem Bruder des damaligen Präsidenten, der den Schlag befehligt hatte. „,Ich glaube, ihr habt dort 7000 Menschen getötet‘, sagte der Geschäftsmann zu Rifaat. Normalerweise würde ein Politiker einen so schlimmen Vorfall herunterspielen wollen und sagen: ‚Oh nein, wir haben keine 7000 getötet. Was redest du da? Das ist nichts als Propaganda unserer Feinde. Wir haben nur ein paar hundert Unruhestifter getötet.‘ 

Aber Rifaat wusste ganz genau, was er in Hama getan hatte und (…) sagte zu dem libanesischen Geschäftsmann: ‚Was redest du da? 7000? Nein, nein. Wir haben 38000 getötet.‘“ 

Friedman folgert: „Er hatte erfasst, wie das Spiel in einem von Clans geprägten Umfeld wie Syrien läuft, dass man dergleichen zu tun hatte, wenn man nicht wollte, dass es einem selbst zustieß, also tat er es, und alle seine Freunde und Feinde sollten wissen, dass er es getan hatte.“ 

Weiter oben in seinem Buch erzählt Friedman die Geschichte vom Truthahn. 

Das eigene Scheitern wird dem bösen Willen anderer angelastet 

Ein älterer Beduine hatte gehört, dass er durch den Verzehr von Truthahnfleisch seine Manneskraft stärken könne. Also kaufte sich der Mann einen Truthahn und mästete ihn. Eines Tages wurde der Truthahn gestohlen. Der Beduine rief seine Söhne zu sich und sagte, sie müssten den Truthahn finden. Seine Söhne lachten ihn aus und taten nichts. Da wurde einige Wochen später sein Kamel gestohlen. Seine Söhne kamen zu ihm und fragten, was sie tun sollten. „Geht meinen Truthahn suchen“, sagte der alte Beduine. Wieder einige Wochen später wurde sein Pferd gestohlen, und zu seinen Söhnen sagte der alte Mann: „Findet meinen Truthahn!“ Und dann wurde einige Wochen später eine seiner Töchter vergewaltigt. Der Vater sagte zu seinen Söhnen: „Das kommt alles nur durch den Truthahn. Als sie merkten, dass sie mir meinen Truthahn wegnehmen konnten, haben wir alles verloren.“ 

Und Friedman bemerkt dazu, Hama sei Assads „Truthahn“ gewesen, der Moment, in dem das Oberhaupt eines Clans – Assad war Führer der Alawiten – seine Macht zu demonstrieren und die mögliche Unterminierung seiner Souveränität mit roher Gewalt zu beantworten hatte. Zerschmetterte er seine Widersacher – die sunnitischen Muslimbrüder Hamas – nicht, dann würden die Stammeskulturen des Nahen Ostens dies als Schwäche werten, und damit wäre sein Untergang eingeläutet. 

Was ist die zweite Lösung des Konflikts? 

Sie könnte durch die Anerkennung Israels als jüdischer Staat durch die arabische Welt erreicht werden, vor allem durch die bewusste Anerkennung der Niederlage aufseiten der Palästinenser. Seit 1948 wird diese Niederlage abgestritten. Seit nunmehr 55 Jahren klammern sich die Palästinenser an den Gedanken, dass der Verlust des Territoriums im Umfang des heutigen Israel nur vorübergehender Natur sei. Millionen von Palästinensern, die in Flüchtlingslagern leben, schöpfen, Generation für Generation, tagtäglich Mut aus dem Traum, dass eines Tages die Rückkehr stattfinden wird. Doch schon ein kurzer Blick auf Israels militärische Stärke müsste genügend Realitätssinn wecken, um sich mit den Tatsachen abzufinden. 

Die gesamte arabische Welt zeichnet sich durch ein chronisches Bedürfnis aus, die Wirklichkeit zu verschleiern, zu beschönigen und zu verdrängen. Beharrlich werden die eigenen Kapazitäten und Errungenschaften überschätzt, und das eigene Scheitern wird dem bösen Willen anderer – gegenwärtig sind das in den arabischen Medien vor allem die Juden – zugeschrieben. Dadurch ist eine rein rhetorisch behauptete Scheinwirklichkeit entstanden, die zum totalen Versagen der arabischen Gesellschaften geführt hat. 

Bis zum heutigen Tag können es sich die Muslime nicht eingestehen, dass sie den größten Teil des historischen Palästinas, in welchem sie einen unveräußerlichen Bestandteil ihrer Einflusssphäre erkennen, an die Juden verloren haben. In der Charta der Hamas steht hierzu, was vermutlich viele Araber denken: „Die Islamische Widerstandsbewegung glaubt, dass das Territorium Palästinas ein islamischer Waqf [ein Terminus aus dem islamischen Recht, der so viel bedeutet wie: Gottes Eigentum, von Gott legitimierter Besitz] aller Generationen bis zum Jüngsten Tag ist; niemand darf es oder einen Teil davon aufgeben oder darauf oder auf einen Teil davon verzichten.“ 

Das Phänomen Israel ist für die meisten Araber eine existenzielle Frage, ein Truthahn gigantischen Ausmaßes, der ihnen gestohlen wurde. Wirklicher Frieden mit Israel, die Aufgabe der süßen Vergeltung, mit der die Demütigungen von vier furchtbar entehrenden Niederlagen gerächt werden könnten, hieße implizit, dass der Koran – der in der arabisch-islamischen Welt eine im Vergleich zu den christlichen und jüdischen heiligen Büchern unvergleichlich höhere normative Kraft besitzt – in seinen Ansprüchen und Versprechungen nicht absolut wäre, und das ist in den Augen des Durchschnittsmuslims ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Friedensvertrag kann daher nur befristet sein, ein taktischer Zug, um Zeit zu gewinnen und das verlorene Terrain später zurückzugewinnen. 

Für die arabische Welt wurde die arrogante Existenz Israels zum großen Sinnbild für die Unterlegenheit ihrer eigenen Institutionen und ihrer rückständigen Technologien sowie für die Schwäche ihrer Kultur, die vom Westen auf allen Ebenen überflügelt wurde. Der daraus resultierende Minderwertigkeitskomplex äußerte sich in eingebildeter Überlegenheit, gestützt auf eine weit zurückliegende ruhmvolle Vergangenheit sowie die religiöse Wahrheit der heiligen Schrift des Islams, des Korans, der den Muslimen nicht nur ein Paradies im Jenseits, sondern auch die Herrschaft in der irdischen Wirklichkeit in Aussicht stellt. „O Allah, verhilf den islamischen Kämpfern in Palästina, Tschetschenien und anderswo zum Sieg!“, rief der Imam Moussa jüngst am 6. Juni in der Großen Moschee in Rom. 

„O Allah, zerstöre die Häuser der Feinde des Islams! O Allah, hilf uns, die Feinde des Islams zu zerschmettern! O Allah, gewährleiste den Sieg des Islams!“ 

Der feige, demütige Jude, wie ihn die islamische Tradition vorstellt und der im Koran getötet oder zum Sklaven gemacht wird, versetzte dem Islam in der ersten direkten militärischen Konfrontation seit der Zeit Mohammeds hingegen einen vernichtenden Schlag. Die Bestürzung darüber klingt in der arabischen Welt bis zum heutigen Tag nach. Von besagten „Truthähnen“ wimmelt es in der Region. Israel muss auf jeden Anschlag mit Vergeltung reagieren, weil es derartige Provokationen nicht hinnehmen darf. Und die Vergeltung muss dann wiederum gerächt werden, wie es die Stammesgesetze von Schande und Ehre in der arabischen Welt verlangen. 

Die so genannte „Roadmap“ von USA, EU, Russland und den UN ändert daran wenig. „Da es ein fortschrittlicher Plan ist, wird die Entwicklung allerdings davon abhängen, dass die Parteien sich guten Willens bemühen und allen unten dargelegten Verpflichtungen nachkommen“, heißt es in ihrem Prolog, und da wird es schon schwierig: Die Parteien können sich nur mit größtem Argwohn begegnen, da lässt sich nicht auf vertrauensvollen guten Willen bauen. 

„In Phase I verpflichten sich die Palästinenser dazu, mit den unten dargelegten Schritten umgehend und bedingungslos die Gewalt einzustellen; unterstützende Maßnahmen vonseiten Israels sollten hiermit einhergehen.“ So lautet der erste Satz zu Phase I des Plans. Der Satz unterstellt, dass man in den Palästinensergebieten im Prinzip über die gleichen Institutionen und Strukturen verfüge wie die westlichen Staaten, wo ein realistischer Plan von verantwortlichen Behörden und einer Bevölkerung mit diszipliniertem staatsbürgerlichen Bewusstsein umgesetzt werden kann. Auf die Palästinensergebiete trifft das aber nicht zu. Unberücksichtigt bleiben in Phase I die Rolle der Clans und ihrer korrupten Oberhäupter, das Schurkentum, das eine gesunde ökonomische Entwicklung behindert, die Explosivität religiöser Rachegefühle sowie Machtgier und Machtmissbrauch autokratischer Eliten, die die arabischen Gesellschaften im gesamten Nahen Osten in Rückständigkeit und Armut gefangen halten. 

In dieser ersten Phase, die im Juni 2003 abgeschlossen sein soll, hat unter anderem Folgendes zu geschehen: Die Palästinenser müssen ihre Hetze gegen Israel einstellen, den Terrorismus verurteilen und bekämpfen, illegale Waffen einziehen, Sicherheitsorganisationen zu drei einem Innenminister unterstellten Diensten zusammenfügen, demokratische Institutionen aufbauen und, kurzum, vor Juni 2003 zu einem Land wie Dänemark werden – ungefährlich, mit hohem Bildungsniveau. Ein guter Nachbar. 

Von Israel wird unter anderem erwartet, dass es die Zweistaatenlösung akzeptiert, jede Hetze gegen die Palästinenser einstellt (für ein Land mit freier Presse ein seltsamer Zusatz, der offenbar angebracht wurde, um dem Plan eine gewisse Ausgewogenheit zu verleihen), keine Gewalt gegen Palästinenser ausübt oder deren Häuser zerstört, die seit März 2001 errichteten Siedlungen abbaut, ihre Armee aus den seit September 2000 wiederbesetzten autonomen Palästinensergebieten zurückzieht und sich, kurzum, verhält, als grenze es an Dänemark. 

Phase II setzt voraus, dass all das gelungen ist und auf diesem Fundament weitergebaut werden kann. Zwischen Juni und Dezember 2003 sollen sich die Bemühungen darauf konzentrieren, „einen unabhängigen palästinensischen Staat mit vorläufigen Grenzen und Merkmalen der Souveränität“ zu gründen. Und daran anschließend heißt es in der „Roadmap“ munter: „Wie bereits festgestellt, kann dieses Ziel erreicht werden, wenn das palästinensische Volk eine Führung hat, die entschieden gegen den Terror vorgeht sowie willens und fähig ist, eine funktionierende Demokratie auf der Grundlage von Toleranz und Freiheit aufzubauen.“ 

Noch nie hat sich im Nahen Osten eine arabische Demokratie auf der Grundlage von Toleranz und Freiheit entwickeln können, aber die Verfasser des Plans meinen, dass in den von Gewalt, Korruption und religiösem Extremismus zerrissenen Palästinensergebieten die nötige Ruhe, das Relativierungsvermögen und die Kompromissbereitschaft vorhanden seien, um so eins, zwei, drei die Entwicklung zu einer modernen liberalen Gesellschaft zu vollziehen. 

Phase III stützt sich auf die großen Erfolge, die im Laufe des Jahres 2003 zu verbuchen sein werden, und sieht für 2005 eine „Vereinbarung über den endgültigen Status“ vor. Es soll eine zweite internationale Konferenz einberufen werden (die erste müsste schon 2003 mit der Teilnahme Syriens am Verhandlungstisch abgehalten werden), die 2005 zu einer „dauerhaften, endgültigen Klärung des Status unter Einbeziehung der Themen Grenzen, Jerusalem, Flüchtlinge und Siedlungen führt, um Fortschritte in Richtung einer baldmöglichst zu erzielenden umfassenden Nahost-Einigung zwischen Israel und Libanon sowie zwischen Israel und Syrien zu fördern.“ 

Einige Zeilen weiter heißt es: „Die Parteien erzielen im Wege gemeinsamer Aushandlung auf der Grundlage der Resolutionen 242, 338 und 1397 des UN-Sicherheitsrats eine letztgültige und umfassende Vereinbarung über den endgültigen Status, die den israelisch-palästinensischen Konflikt im Jahr 2005 beendet; diese Vereinbarung beendet auch die Besatzung, die im Jahr 1967 begann, und beinhaltet eine einvernehmliche, gerechte, faire und realistische Lösung der Flüchtlingsfrage sowie eine auf dem Verhandlungsweg erzielte Klärung des Status von Jerusalem, die die politischen und religiösen Bedenken beider Seiten berücksichtigt und die religiösen Interessen von Juden, Christen und Muslimen in aller Welt schützt, und sie verwirklicht die Vision, dass die zwei Staaten, nämlich Israel und ein souveränes, unabhängiges, demokratisches und lebensfähiges Palästina, in Frieden und Sicherheit zusammenleben.“ 

Ein Plan ohne Gespür für die historischen Wunden 

Jedem, der sich ein wenig im politischen, psychologischen, religiösen und kulturellen Sumpf des Nahen Ostens auskennt, wird, wenn er das liest, sofort aufgehen, dass dieser Plan von Bürokraten stammt, die keinerlei Gespür haben für die Bösartigkeit und Komplexität der historischen Wunden der betroffenen Parteien – für den religiösen Fanatismus, die Kultur von Scham und Selbstachtung, die 2000-jährige jüdische Geschichte der Diskriminierung, die die Israelis nur noch auf ihre Waffen vertrauen lässt, und schließlich für den in wirtschaftliche, politische und moralische Lähmung mündenden Minderwertigkeitskomplex, den die arabische Kultur nach den verheerenden Niederlagen gegen die französische und britische Imperialmacht im 19. und gegen die israelische Armee im 20. Jahrhundert entwickelt hat. 

Wie schon die Verträge von Oslo setzt der Plan eine rationale Grundhaltung der betroffenen Parteien voraus und verirrt sich somit im nahöstlichen Labyrinth von undurchsichtigem Finassieren, Paranoia, Hass und Angst, von Ressentiment und Rachsucht, von Rassismus und Antisemitismus, von Komplott-Theorien und mit Geistern und Teufeln besetzten Fantasiewelten. 

In der „Roadmap“ wird so getan, als gäbe es dieses Labyrinth nicht, und deshalb kann sie nicht funktionieren. Damit soll nicht gesagt sein, dass sich ein Friedensplan den besonderen Eigenheiten der Region anzupassen hätte, im Gegenteil: Es führt zu nichts, wenn man allen Nuancen Beachtung schenkt. Doch jeder Friedensplan sollte das vorhandene Labyrinth berücksichtigen, um es dann aufzuheben. Das Labyrinth muss zerschlagen werden. 

Damit haben die Amerikaner im Irak einen Anfang gemacht. Ohne sich von den regionalen Weisheiten („Die breite Masse wird sich erheben“; „Araber ziehen ihren hausgemachten Diktator einer gewählten Regierung vor“; „Demokratie lässt sich nicht erzwingen“; „Araber hassen Amerikaner mehr als ihre eigenen Unterdrücker“) beirren zu lassen, haben die Amerikaner mit ihren Panzern die Mauern des Labyrinths zum Einsturz gebracht. Was in den kommenden Jahren im Irak bewerkstelligt werden kann, wird entscheidend sein für die Zukunft und die Rolle des Westens in der arabisch-islamischen Welt. 

Die „Roadmap“, die jetzt auf dem Tisch liegt, bringt keinerlei Erleichterung der Situation. Und das hat viel mit der zwiespältigen Haltung der EU zu tun, die hin- und hergerissen ist zwischen einserseits den vorhandenen wirtschaftlichen Interessen an der arabischen Welt (Öl, Öl, Öl) und andererseits der Empfindlichkeit für die geltend gemachten moralischen Ansprüche, die für Israel aus der Ermordung der europäischen Juden resultieren. 

Darüber hinaus hat aber noch ein weiterer Faktor Einfluss auf das Verhalten der EU: Die sozioökonomischen Krisen in der arabisch-islamischen Welt sind derart groß, dass der drohende Ausbruch von Hass und Rachsucht nicht auf die arabische Welt beschränkt bleiben kann. Die Mehrheit der arabischen Bevölkerung ist jünger als 18; es gibt keine Arbeit für die kommenden Generationen, keinen Wohnraum, keine Mittel, um ein menschenwürdiges Dasein aufzubauen, es fehlt der Raum, um kreativ und erneuernd zu wirken und zu denken, es sind keine Industrien vorhanden, die konkurrierend den Weltmarkt erobern könnten (im Gegensatz zu Ostasien, wo die Modernisierung sehr wohl geglückt ist). Der Immigrationsdruck auf den Bauch Europas wird enorm ansteigen, und es fragt sich, wie die EU damit umgehen soll. Die EU wird aufgrund der zunehmenden Vergreisung Bedarf an Arbeitskräften entwickeln, damit das Niveau von Lebensstandard und Rentenleistungen gehalten werden kann. Die naheliegendste Option ist, diesen Bedarf mit dem Bevölkerungsdruck in Nordafrika zu koppeln. Sollte dies geschehen, wird die Islamisierung Europas zunehmen, und die moralischen Ansprüche der Juden dürften angesichts einer neuen Entwicklung in Europa an Gewicht verlieren. Dann wird Israel für Europa eine Fußnote in der Geschichte sein. 

Zudem wäre da noch das natürliche Bedürfnis der EU, ihre wirtschaftliche Macht in politische und militärische Macht umzusetzen, sodass sie auch auf diesen Gebieten mit Amerika konkurrieren kann. 

Was die Empfindlichkeit für die jüdischen Ansprüche betrifft, sei das Folgende bemerkt: Seit 1982, seit den Morden in Sabra und Schatila, ist diese Empfindlichkeit ernstlichen Erosionen unterworfen. Obwohl die Morde auf das Konto libanesischer Christen gehen – aus Rache für den von Palästinensern begangenen Mord an dem christlichen libanesischen Präsidenten Bechir Gemayel und 25 seiner Anhänger, der wenige Tage zuvor stattgefunden hatte –, haben die internationale Presse und die Palästinenser die direkte Verantwortung dafür Israel zugeschoben. Seither werden immer öfter die israelischen Juden, die Erben der Schoah-Opfer, als Mörder von Palästinensern gebrandmarkt. Diese sich verändernde Sichtweise in Europa scheint stark mit dem psychologischen Bedürfnis zusammenzuhängen, sich von den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs und dem besonderen Schutzanspruch, den die Juden daraus ableiten, zu befreien. Je größer die Opfer der Palästinenser, desto geringer die Sensibilität für den einstigen israelisch-jüdischen Opferstatus. 

Der letzte Punkt der „Roadmap“ lautet: „Zustimmung zur Aufnahme vollständiger normaler Beziehungen zu Israel durch arabische Staaten und Sicherheit für alle Staaten der Region im Kontext eines umfassenden arabisch-israelischen Friedens.“ 

Wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, sind Verträge zwischen Demokratien und Diktaturen äußerst instabil. Für Diktatoren ist die Kontinuität ihrer Macht oberstes Ziel, für verantwortungsvolle Politiker in Demokratien die Wahrung des Rechtsstaates und der allgemeinen Interessen seiner Bürger. Diese beiden Auffassungen werden immer in Spannung miteinander stehen und verhindern, dass unter den gegebenen Bedingungen im Nahen Osten mit dem Vorbild heutiger europäischer Modelle jemals ein Frieden möglich sein wird. Und daraus ergibt sich, dass Israel erst Frieden finden kann, wenn die gesamte Region liberalisiert und demokratisiert ist und von einem entwickelten, wohlhabenden Mittelstand getragen wird. Es kann noch ein Jahrhundert dauern, bis dieses Paradies anbricht. 

Trotzdem muss etwas geschehen und der arabisch-islamischen Fixiertheit (und die der westlichen Medien) auf Israel etwas entgegengesetzt werden. Die Palästinenser haben ein Recht auf ihren eigenen Staat und sollten selbst für sich sorgen können. 

Die konzertierte Macht des Trios USA, EU und Russland (zusammen mit den UN bilden sie dann ein „Quartett“) ist in der Weltgeschichte ohnegleichen. Im Prinzip vermöchte das Trio jeden Plan zu verwirklichen. In der „Roadmap“ hätte daher, gerade was die besonders heiklen Themen betrifft, klar herausgestellt werden müssen, welche Position das Trio selbst einnimmt, anstatt den Anschein zu erwecken, die Konfliktparteien könnten über Verhandlungen zu einer Einigung gelangen. Man sollte einmal die gemeinsame Macht von USA, EU und Russland in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen führen, und die arabisch-islamische Welt würde erkennen, dass Opposition nur Untergang bedeuten kann. Nur mit knallharter und reinster Machtpolitik können die betroffenen Parteien zur Kooperation gezwungen werden. Allah mag im Himmel herrschen, auf Erden hat das Trio das Sagen. 

Was für den einen realistisch ist, ist für den anderen ein Albtraum 

Anstatt unverbindlich an die arabischen Länder und einen zukünftigen palästinensischen Staat zu appellieren, Israel in den Grenzen von vor 1967 anzuerkennen, hätte das Trio selbst für die unerbittliche Sicherung dieser Grenzen eintreten müssen. Die Verletzung der Grenzen Israels hätte es gleichsetzen müssen mit dem Angriff auf die eigenen Grenzen. Außerdem hätte man Israel als Atommacht einladen sollen, vollwertiges Mitglied der Nato zu werden. In der Frage, wie und in welchem Umfang Israel bei einem Verteidigungskrieg unterstützt werden kann, hätte das Trio von vornherein Klarheit schaffen sollen: Den Aggressor wird die geballte Macht der „civilized world“ treffen. Ein Volk, das 2000 Jahre lang verfolgt und verraten wurde, kann nur mit solchen Garantien dazu bewegt werden, das Risiko eines Friedens mit korrupten Diktaturen auf sich zu nehmen. 

Darüber hinaus hätte die EU Israel einladen müssen, Mitglied der EU zu werden, um es noch enger an Europa zu binden. Die Wirtschaft Israels, das über ein hohes Ausbildungsniveau verfügt, ist mindestens ebenso stark wie die der neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Des Weiteren hätte das Trio in der Frage des Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge eindeutig Stellung beziehen sollen. In der „Roadmap“ steht, dass eine „einvernehmliche, gerechte, faire und realistische Lösung“ gefunden werden müsse. Doch was für die eine Partei „realistisch“ ist, ist für die andere ein Albtraum. 

Auch der palästinensische Premier Mahmud Abbas (Mitbegründer der Fatah, der 1982, während des Studiums in Moskau, seine später unter dem Titel The Other Side: The Secret Relationship between Nazism and the Zionist Movement veröffentlichte Dissertation schrieb, in der er ein Komplott zwischen Nazis und Zionisten nachzuweisen versuchte, die Existenz der Gaskammern abstritt und die Zahl der jüdischen Opfer im Holocaust auf unter eine Million schätzte) hält uneingeschränkt an der Rückkehr der Palästinenser, die 1948 in arabische Regionen geflüchtet sind, samt ihrer Nachkommen in das heutige Israel fest. Es geht dabei um schätzungsweise drei Millionen Menschen. Israel lehnt es ab, darüber zu verhandeln. Verständlicherweise. Der Zufluss so vieler feindlich gesinnter Menschen kann für Israel nur den Untergang bedeuten. 

Das Trio hätte klarstellen müssen, dass diese Flüchtlinge auf keinen Fall an ihre einstigen Wohnstätten zurückkehren können und dass höchstens über eine großzügige finanzielle Abfindung verhandelt werden kann. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass die Juden, die nach 1948 aus arabischen Ländern vertrieben wurden, ebenfalls ein Anrecht auf Reparationszahlungen für ihre zurückgelassenen Besitzungen haben (und es wäre ratsam, diese gegebenenfalls für die Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung in Palästina einzusetzen). 

Zudem hätte das Trio Klarheit über den Status Jerusalems herstellen müssen. Es ist ja zur Genüge untersucht worden, inwiefern eine Doppelhauptstadt Jerusalem möglich wäre, es also für beide Länder gleichzeitig als Hauptstadt fungieren könnte. Das Trio hätte von sich aus die Position beziehen müssen, dass die Stadt in administrativem Sinne geteilt wird, ohne Mauer und mit vorläufigen UN-Kontrollposten an der östlichen, palästinensischen Gemeindegrenze. Und was hätte das Trio in Bezug auf die besetzten Gebiete verlautbaren sollen? Dass die Grenzen Palästinas (angepasst entsprechend den Grenzkorrekturen, die israelische und palästinensische Unterhändler in Taba im Januar 2001 vereinbart haben) zum 1. Januar 2005 als Grenzen eines unabhängigen palästinensischen Staates anerkannt werden, der sich Israel gegenüber verantwortungsvoll und friedlich zu verhalten hat. Das schließt den Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland sowie den Abbau der meisten Siedlungen bis spätestens 31. Dezember 2004 ein. 

Der einzig mögliche Friede ist ein bewaffneter Friede 

Die palästinensische Gesellschaft ist nach der Rückkehr Jassir Arafats im Mai 1994 rivalisierenden Machtgruppen anheim gefallen, und für eine dieser Eliten wird sich das Trio entscheiden müssen. Alles deutet darauf hin, dass diese Entscheidung bereits gefällt wurde: zugunsten der Gruppe von Mahmud Abbas, der trotz seiner revisionistischen Vergangenheit als sehr gemäßigter Palästinenser gilt. 1998 veröffentlichte Abbas ein Buch mit dem Titel Racial and Religious Polarization in Israel, in dem er die folgende taktische Frage behandelte: „Was ist besser geeignet, die Konflikte und die rassischen und religiösen Gegensätze in der israelischen Gesellschaft zu verschärfen und eskalieren zu lassen: Krieg oder Frieden?“ Seine zynische Antwort lautet, dass die Araber alles daransetzen sollten, die Israelis von ihrem aufrichtigen Friedenswillen zu überzeugen, „denn diese Überzeugung wird die Uneinigkeit in der israelischen Gesellschaft vertiefen und die Israelis aus ihren Panzern und Befestigungen locken“. Einer der zentralen Streitpunkte zwischen Israelis und Palästinensern sind die israelischen Siedlungen im Westjordanland und im Gaza-Streifen. In der Zeit des Friedensprozesses seit 1993 hat sich die Zahl der Siedler verdoppelt. In den vergangenen Jahren sind „wilde Siedlungen“ hinzugekommen, die selbst nach israelischem Rechtsverständnis als illegal anzusehen sind. Mit der Unterzeichnung der „Roadmap“ sichert Israels Premierminister Ariel Scharon zu, den Siedlungsbau einzufrieren. 

Dennoch ist Mahmud Abbas, der Schatzmeister der Fatah war und wie viele andere Fatah-Führer mit einem Import-Export-Unternehmen Multimillionär wurde, derzeit die einzige Option. Man wird ihn mit Waffen und Geld ausstatten müssen, damit er den Bürgerkrieg mit Hamas, Fatah und dem islamistischen Dschihad gewinnen kann, oder besser: Das Trio wird ihn derart stärken müssen, dass jegliche Opposition von vornherein vergeblich ist. Die palästinensische Gesellschaft kann nicht kurzfristig liberalisiert oder demokratisiert werden, und das bedeutet, dass der einzig mögliche Friede ein bewaffneter Friede sein wird. 

Ein „demokratisches und lebensfähiges Palästina“ ist eine Fata Morgana. Möglich ist, mithilfe des Trios eine aufgeklärte Diktatur zu etablieren, die mittels eines umfangreichen Marshall-Plans wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt ermöglicht. Das kann Jahrzehnte dauern. Und fraglos wird dieses Programm schwere Spannungen und häufige terroristische Gewaltakte aushalten müssen. Um den palästinensischen Terrorismus – der seit 1920 existent ist – zu bekämpfen, wird das Trio militärisch auftreten und Soldatenleben riskieren müssen. Aber es wird nun mal die Hauptrolle zu spielen haben. Und das heißt Verantwortung übernehmen, Schläge einstecken, Fehlverhalten bestrafen und Wohlverhalten belohnen. Palästina wird sich unter der Vormundschaft des Trios zu einer selbstbewussten, verantwortungsvollen Gesellschaft entwickeln müssen. Die Belohnung dafür sind Ruhe und Wohlstand. Die Strafe, sollte das nicht geschehen, sind totale Isolierung, Tod und Verderben für viele zukünftige Generationen. 

Es fragt sich, ob das Trio je in dieser Weise auftreten kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt heißt die Antwort: Nein. Chirac, Schröder und Putin ist sehr daran gelegen, die Macht der Amerikaner im Nahen Osten zu brechen. Jeder der drei spielt sein eigenes Spielchen mit Syrien, anderen arabischen Staaten und dem Iran, und jeder der drei ist daran interessiert, die öffentliche Meinung im Westen, die mit den Palästinensern sympathisiert, in seinem Sinne zu manipulieren und die Symbolfigur Arafat zumindest dem Anschein nach zu respektieren. Die heutige „Roadmap“ ist dem Tode geweiht. Wenn die EU und Russland nicht aufrichtig kooperieren und eine größere Priorität darin besteht, amerikanische Interessen zu vereiteln, als die, die gewaltigen Probleme in der arabisch-islamischen Welt einzudämmen, bleibt der amerikanischen Regierung nur, eine Waffenruhe (von einem Frieden kann man beim obigen Programm nicht sprechen), eine Pax Americana, zu erzwingen. Das wird sich mehr oder weniger nach den hier beschriebenen Prinzipien vollziehen. Man darf erwarten, dass die Franzosen, Deutschen und Russen hinter den Kulissen ihre Privatinteressen ausspielen und notorische Schurken wie Assad und Arafat in Schutz nehmen werden. Und damit werden sie Verwirrung, Unruhe und Gewalt stiften. 

Die „civilized world“ lässt nicht zu, dass Israel den palästinensischen Terrorismus, der erst bei der völligen Vernichtung Israels aufhören wird, gewaltsam beendet. Also wird die „civilized world“ selbst diesen Terrorismus stoppen müssen. Eine andere „Roadmap“ gibt es nicht. 

Leon de Winter

Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers 

(c) DIE ZEIT 26.06.2003 

 

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